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PS09: Tombola, Denkspruch, Handelsvertreter

Diese Geschichte ist parallel veröffentlicht auf dem Projekt-Blog. Kommentare und Kritik bitte dort abgeben.

Wie es endete (Part 2/2)

„Hraaaaaaaaaaaaaaargh!“ Er schreckte aus seinem Schlaf hoch, dann packte ihn der Schwindel. Unbeholfen ging er ins Bad, sank zwischendurch bei jeder neuen Welle Übelkeit auf die Knie und schaffte es dann doch mit dem Kopf über die Kloschüssel. War der Schrei noch Traum? Mein Hals ist so trocken. Der brennende Schwall kam. Als er den letzten Schleim ausgespuckt hatte, zog er sich am Waschbecken hoch und trank vom Wasserhahn.

Er füllte seine Handflächen mit kaltem Wasser und schlug es sich ins Gesicht. Haarsträhnen klebten ihm an der Stirn. Beim Blick in den Spiegel schauderte er – seine rechte Wange war verschrammt und leicht angeschwollen; das Ohrläppchen war eingerissen, ein dicker Wundschorf hatte sich darauf gebildet. Woher sind diese Verletzungen? Eine Erinnerung.

Der Anzug muss sitzen. Das Auftreten ist entscheidend; sei seriös. Eine der ersten eingebleuten Regeln. Die Krawatte eines Handelsvertreters muss sitzen. Ich glaub’, dass tut sie schon. Egal, noch mal dran rütteln. So. Okay, lächeln, auch wenn es dir scheiße geht. Klingelknopf drücken und die Show kann beginnen. Okay, okay, gleich, da, die Tür geht auf. „Guten Tag, ich komme im Auftrag …“

Kopfschmerzen traten ein. Wortwörtlich; es war, als würden die Schmerzen seine Schädeldecke eintreten. Im Spiegelschränkchen fanden sich noch zwei Aspirin, die er einnahm. Zittrig auf den Beinen schleppte er sich zurück zum Bett. Seine Hose lag über der Stuhllehne und aus der Gesäßtasche winkte ihm ein gelber Zettel zu. Er nahm ihn heraus und ließ sich wieder ins Bett fallen. Die ruckartige Bewegung hallte schmerzhaft im Kopf nach. Er musterte den Zettel. Das Los von einer Tombola. Ich erinnere mich noch, wie ich es gekauft habe. Ein Stand vor dem Baumarkt war es. Irgendeine Kinderveranstaltung. Die Gewinne waren egal; sollte nur ein kleiner Gefallen sein. „Aah, Fuck! Wann wirken die Tabletten endlich?“ Er bedeckte mit einem Arm die Augen. Sein Kopf pulsierte, die Wange war heiß und selbst seine Fingerknöchel schmerzten. Warum?

Er setzte sich wieder auf die Bettkante und betrachtete seine Hände. Er ballte sie zu Fäusten und die nächste Erinnerung traf ihn hart. Die dumpfen Laute, als er zugeschlagen hat – er konnte sie hören. Und er erinnerte sich an etwas, das er an der Wand gesehen hatte. Ein Schild mit einem Denkspruch: „Trautes Heim, Glück allein.“ Es war heruntergefallen, weil ich gegen die Wand … Er stürzte zurück ins Bad und leerte den Wäschekorb aus. Unter Socken, Unterhosen und Hemden war auch der Anzug, den er zuletzt getragen hatte. Dunkelrote Blutflecken fanden sich darauf, längst eingetrocknet wie der Schorf an seinem Ohr. Was ist gestern vorgefallen?


PS09: BH, Staatslotterie, Diebstahl

Diese Geschichte ist parallel veröffentlicht auf dem Projekt-Blog.

„Weißt du, das war eine richtige Scheißidee.“ Sie schnauft verärgert und läuft in einem der Gänge auf und ab. Links und rechts die Bankfächer, darin vielleicht ungeahnte Schätze, vielleicht dicke Geldbündel. Im Gang daneben kauert ihr Partner und fährt mit handschuhüberzogenen Fingern über das kalte Metall. „Besser als ein Gewinn in der Staatslotterie, habe ich noch gedacht! Pah! Pah, pah, pah! Jetzt hocken wir im verdammten Tresor fest! Die Kameras sind ausgetrickst, sodass immer das gleiche Standbild zu sehen ist … Oder?!“ Sie stellt sich provokant vor die Kamera und pocht gegen die Linse. „Halloho!“ Auf der metallenen Ablagefläche in der Mitte des Banktresors liegt ihr Koffer, randvoll gefüllt mit Geldnoten. Sie packt ihn „Scheiß aufs Geld! Ich will hier wieder raus!“ und wirft ihn quer durch den Raum. „ICH WILL HIER …“

Ein wütendes Scheppern hallt durch die Gänge. Ihr Partner hat wuchtig gegen ein Fach getreten und schnauzt aus seiner sitzenden Position heraus: „GOTTVERDAMMT, BERUHIGE DICH!“ Als sie in den nächsten Sekunden nichts erwidert, spricht er weiter. „Ich konnte doch nicht ahnen, dass sich die Tür nach einem kurzen Zeitfenster automatisch wieder schließt. Wir hätten nicht mit dem ganzen Technikkrimskrams den Code entschlüsseln sollen, sondern altmodisch mit brachialer Gewalt einbrechen. Gewalt ist wohl doch die bessere Lösung.“ Ein verächtliches Lächeln frisst sich aus seinen Mundwinkel. Wen oder was er verachtet, ist unklar; vielleicht gilt es in diesem Augenblick ihm selbst.


Nach vier Stunden.

„Meinst du nicht, dass bald mal jemand kommen müsste?“, fragt sie wie nebensächlich und ohne aufzuschauen. Papier raschelt in ihren Händen.
„Es ist Nacht. Frühestens morgen wird wieder jemand hier reinkommen.“
„Und was machen wir, wenn endlich jemand kommt? Können wir uns rausreden oder schlagen wir uns wortwörtlich nach draußen durch?“
„Wir werden sehen. Hauptsache raus … Was machst du da? Ist das Origami?“
„Geht erstaunlich gut mit Geldscheinen. Guck mal, ein Frosch! QUAK!“


Nach fünf Stunden.

„Hat der Raum eigentlich ein Belüftungssystem? Mir kommt es so stickig vor. Und es wird wärmer.“ – Stille. – „Keine Antwort ist auch eine Antwort, schätze ich mal.“ Er grummelt leise und sagt: „Ich gehe nicht davon aus.“ Sie schaut daraufhin betreten und schweigt einen Moment bis sie flüstert: „Gruselig, dieser Metalltisch dort erinnert mich an eine dieser Ablagetische in der Leichenabteilung von Krankenhäusern.“


Nach sechs Stunden.

Sie ist auf den Metalltisch geklettert und hält eine enthusiastische Rede.
„Weißt du noch, damals? Da waren wir noch kleine Fische im Piranhateich. Nur Diebstahl, etwas Trickbetrügerei. Und irgendwie ging es dann weiter, die Nummern wurden immer größer. Und zack, waren wir ein gefeiertes Einbrecher-Duo, der Schrecken der Banken!“ Ihre Rede unterstreicht sie mit dynamischen Armbewegungen. Er schmunzelt. „Du übertreibst.“
„Haha, vielleicht ein bisschen.“ Seufzend setzt sie sich auf die Tischkante. „Ich wollte dich nur ein wenig aufmuntern.“


Nach acht Stunden.

In den letzten Stunden hat sich ihrer beider Atmung verlangsamt und ist schwerer geworden. Schweißperlen stehen ihnen auf der Stirn. Nach anfänglichem Zögern ergeben sie sich der drückenden Luft und ziehen sich bis auf die Unterwäsche aus. „Keine Zeit für Eitelkeiten“, tut sie es mit einem Schulterzucken ab. „Ich wünschte nur, ich hätte einen schickeren BH angezogen. Wenn ich so gefunden werde … wie beschämend“, bemerkt sie mit einem Lächeln. Er schaut verwundert und muss schließlich lachen. Als er sich wieder beruhigt hat, sagt er ihr: „He, du bist immer noch voll Energie und guter Laune. Das ist schön.“
„Klar doch! Und gut, dass du mich hast. Eine trübsinnige Seele wie du hätte alleine nie so lange durchhalten können. Die Psyche, weißt du?“
„Lächel mich wengistens nicht an, während du so frech sprichst!“


Nach dreizehn Stunden.

Die schwere Tresortür wird entriegelt, man hört dabei deutlich wie es hinter dem Metall arbeitet. Zentimeter um Zentimeter weitet sich der Spalt und frische Luft strömt ein. Ein junger Bankangestellter betritt den Raum und findet – zu seiner Verwunderung – zwei auf dem Boden liegende, teils entkleidete Menschen vor. Nach einer Denkpause stürzt er zu den beiden und versichert sich, dass sie noch atmen. Anschließend ruft er den Krankenwagen.


PS09: Grabung, Luftkurort, Titan (der)

Diese Geschichte ist parallel veröffentlicht auf dem Projekt-Blog.

Sie hatte die Augen noch geschlossen. In ihrem Kopf pochte es, doch etwas Nass-Kühles lag auf ihrer Stirn und machte es erträglich. Der restliche Körper lag unter einer Decke. Alles schwankte und schaukelte leicht, wie auf See. Wo?, dachte sie sich. Benommen schaute sie sich den Ort an, an dem sie unerwartet erwacht war. Sie ahnte ein rustikales Haus, das komplett aus Holz gebaut war, das nur aus diesem einen Raum bestand und aus dessen Fenstern man viel Himmel sah. Sie zuckte überrascht zusammen, als sie am Fenster einen jungen Mann bemerkte.

„Ah, du bist wach! Wie fühlst du dich?“ Er kam ans Bett und ließ sich neben ihr auf den Holzplanken nieder. Sie antwortete: „Geht so“ Vorsichtig tastete sie nach ihrer Stirn und nahm den nassen Lappen herunter. Er nahm ihn ihr ab. „Soll ich ihn dir noch mal anfeuchten?“ Sie beachtete seine Frage nicht und stemmte sich stattdessen mit den Armen im Bett hoch, sodass sie an der Wand lehnen konnte. Im nächsten Moment pochte ihr wieder der Schädel und sie stützte den Kopf in die Hand. Ein geseufztes „Ouw“ entwich ihr.

Der Mann schien eher amüsiert als besorgt. „Schon dich lieber, kleine Tomate.“ „Tomate?“ „Haja, zugegeben, jetzt ist es nicht mehr ganz so schlimm. Aber als wir dich gefunden haben, war dein Kopf knallrot. Lagst bewusstlos mitten in einer Grube, der prallen Sonne ausgesetzt. Sonnenstich, vermute ich mal. Was hast du da getrieben?“ „Getrieben? Ich … ouw …“ Sie fasste sich wieder an die Schläfe. „Kann ich vielleicht doch noch mal den Lappen haben? – Danke. – Dort war meine archäologische Grabung. Ich hab mich wohl im Eifer des Gefechts verloren, als ich Ansätze mehrerer Knochen entdeckt habe.“ „Eine Archäologin? Aha“, mehr sagte er dazu nicht. Schon klar, klingt unglaublich spannend für dich.

Nach kurzem Überlegen fragte sie: „Ich war also weggetreten und du hast mich gefunden?“ „Ich und mein steter Reisebegleiter Asot.“ „Vielen Dank für die Pflege. Wie heißt du?“ „Joshua.“ „Vielen Dank dafür, Joshua. Und deinem Freund möchte ich auch noch danken.“ „Schon gut. Ich stelle ihn dir später vor. Ruh dich erst noch etwas aus.“ Er stand auf und nahm wieder seinen Platz am Fenster ein. Wie beiläufig fragte er: „Wie heißt eigentlich unsere Patienten?“ „Marina“, flüsterte sie noch. Dann kroch sie wieder unter die Bettdecke und schlief

bis in die frühen Stunden des nächsten Morgens. Sie stand auf und genoss die sommerliche Kühle, die vor dem Sonnenaufgang in der Luft hing. Es hat aufgehört zu schwanken. Joshua befand sich nicht im Raum. Sie ging an das Fenster, wo er gestern gestanden hatte. Was für eine Aussicht. Diese Hütte muss irgendwo auf einem Berg stehen. Frische Brisen wehten herein und ihr salziger Duft erinnerte sie an den Luftkurort an der See, den sie damals – in einem Alter von nicht mehr als 17 Jahren – mit ihrer Mutter besucht hatte.

Dielen knarzten und Joshua begrüßte sie mit „Wieder fit?“ Gut gelaunt antwortete sie: „Springlebendig! Sag mal, wo befinden wir uns eigentlich? Nahe der See?“ Er stand in der Tür und deutete ihr mitzukommen. „Ich stell dir Asot vor. Und ja, wir sind nahe der See.“

Sobald sie das Haus verlassen hatte, stand sie auf steinigem Untergrund. Nur einige Meter entfernt zur Tür befand sich ein mehrere Mann hoher Geröllklotz. Joshua stand dicht davor und klopfte daran. „Hey, Kumpel!“ Im nächsten Moment geriet der Klotz in Bewegung und drehte sich in ihre Richtung. Er nahm wieder etwas Abstand und zeigte mit flacher Hand auf das steinige Gesicht hinter ihm. „Das ist Asot. Asot, das ist Marina.“ Marina sagte Nichts, schrie aber in sich hinein. Ein … ein Titan! Dann stehe ich gerade auf seiner Schulter und das Haus … das Haus … „Ich lebe wie ein Parasit auf Asots Schulter“, kam Joshua ihren Gedanken zuvor. „Nur ohne Schaden für den Wirt. Stimmt’s Asot?“ Marina betrachtete den Kopf eingehender. Die Steine bildeten so etwas wie ein Gesicht, das sich minimal verändern konnte. Gerade zeigte es ein angedeutetes Lächeln. Weißes Licht drang aus seinen leeren Augenhöhlen und vermischte sich mit den ersten Sonnenstrahlen. Für einen Augenblick sah Marina die Illusion eines menschlichen Wesens.

Sie schritt vorsichtig näher an den Abhang und ihr Blick glitt viele hundert Meter über riesige Steinplatten, Moos und selbst vereinzelte Bäume, die zwischen den Spalten heranwuchsen, hinunter zum Boden. „Asot, hm?“, murmelte sie. Joshua kam näher zu ihr. „In der nächsten Stadt, die wir erreichen, werden wir dich absetzen. Wenn du Geld für die Rückreise benötigst, leihe ich dir welches.“ Marina hörte ihm gar nicht zu. Sie war zu sehr in Gedanken. Der Kerl reist in einem Haus, das auf der Schulter eines Titanen gebaut wurde, durch die Weltgeschichte. Ein steinerner Titan, verdammt! Ob es noch mehr solcher Wesen gibt? Ihr Blick klärte sich wieder und sie sprach ohne zweiten Gedanken: „Lasst mich mit euch reisen!“


Projekt: Shortstories 2009

Projekt: Shortstories 2009

Am 3. Januar 2009 startet ein neues Projekt, bei dem die Teilnehmer zum kreativen Schreiben aufgefordert sind. Alle zwei Wochen werden drei Wörter zufällig aus dem Duden gewählt und auf dem offiziellen Blog preisgegeben. Diese sind dann die Vorgabe für eine selbstzuschreibende Kurzgeschichte.
Projekt: Shortstories 2009 – Drei Wörter werden zu Geschichten
PS: Veranstaltet von .

Deine Teilnahme

Jeder kann teilnehmen. Sagt kurz Bescheid, z.B. in einem Kommentar. Es ist auch nicht schlimm, wenn ihr den zweiwöchentlichen Rhythmus nicht einhalten könnt – Nachreichen und mal Auslassen ist in Ordnung. Späteinsteiger sind auch herzlich eingeladen.

Unsere Texte

Es existiert bereits ein Wordpress-Blog für das Projekt, auf dem alle ihre Texte nach Möglichkeit einstellen sollen. Dafür bedarf es einem Wordpress-Account, der dann als Co-Autor eingetragen wird. Wer einen eigenen Blog hat, darf/soll seine Geschichte natürlich auch dort parallelveröffentlichen.

Eine Teilnahme ist – klaro – auch ohne Wordpress-Account möglich.
Zum Sammeln der Texte wäre es nur praktisch und übersichtlich.

Warum sollte ich?

Einfach so.

(Es gibt nichts zu gewinnen, es gibt keine Bestenliste. Spaß am Schreiben, Austausch mit anderen und hoffentlich eine Verbesserung der eigenen Fähigkeiten stehen in Aussicht. Wem das nicht reicht, dem reicht das nicht.)

Links

PS09 Blog: ps09.wordpress.com
Mehr Infos zu PS09: ps09.wordpress.com/infos-co/
Jü (Veranstalterin): ichbloque.wordpress.com/
Wordpress-Account anlegen: wordpress.com/signup/
Die Grafiken zum Projekt stammen von Chrissi.